Gemeindepsychiatrie in Mittelsachsen

Irrenanstalt, Klapsmühle oder Klapper – alte Denkmuster durchbrechen

In den 1970er und 1980er Jahren wurde in beiden Teilen Deutschlands eine wegweisende Psychiatriereform eingeleitet, die nach der Wiedervereinigung fortgeführt wurde. Diese Reform brachte eine tiefgreifende Umgestaltung der psychiatrischen Versorgung mit sich und zugleich das Ende für große psychiatrische Krankenhäuser mit ihren riesigen Bettensälen, die früher als „Irrenanstalten“ bekannt waren. Begriffe wie „Klapsmühle“ oder „Klapper“ prägten lange Zeit das Stigma um psychische Gesundheit. Die Psychiatriereform veränderte nicht nur die Einrichtungen, sondern auch die Denkweise.

Gemeindepsychiatrie 

Die Gemeindepsychiatrie ist ein Konzept, das ein dezentrales und in der Regel wohnortnahes Hilfesystem zur Unterstützung von Menschen mit psychischen und Suchterkrankungen etabliert hat. Dieses bietet nicht nur stationäre, sondern auch teilstationäre und ambulante Dienste. Die Verantwortung für diese gemeindepsychiatrischen Angebote und Einrichtungen liegt in den Händen verschiedener Kostenträger und Leistungserbringer. Im Landkreis Mittelsachsen sind sowohl der Landkreis selbst als auch der Freistaat Sachsen maßgeblich für die Finanzierung und Planung der gemeindepsychiatrischen Versorgung verantwortlich. Dies ist auch im Sächsischen Gesetz über die Hilfen und die Unterbringung bei Psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) gesetzlich festgelegt.

Psychiatrieplanung – Baustein der Integrierten Sozialplanung

Das SächsPsychKG schreibt unter anderem vor, dass jeder Landkreis und jede kreisfreie Stadt einen Psychiatrieplan erstellen und regelmäßig fortschreiben muss. Dieser dient dazu, die vorhandenen Kapazitäten darzustellen und den Verantwortlichen die notwendigen Informationen für die Planung zur Verfügung zu stellen. 

Durch regelmäßige Evaluierungen wird überprüft, ob die bestehenden Angebote den tatsächlichen Bedarfen gerecht werden. Die Psychiatrieplanung ist ein Aufgabenbereich der Integrierten Sozialplanung.

Beratung vor Behandlung 

Wichtige Bausteine der Gemeindepsychiatrie sind zum Beispiel die Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen (PSKB) und die Suchtberatungs- und behandlungsstellen (SBB). Diese Einrichtungen bieten niederschwellige Kontakt-, Beratungs- und Kommunikationsmöglichkeiten für psychisch kranke und suchtkranke Menschen. 

Nach dem Grundsatz Beratung vor Behandlung richtet sich das Angebot auch an Menschen in seelischen Krisensituationen und bei beginnenden psychischen Erkrankungen sowie an deren Angehörige oder sonstige Bezugspersonen. Wesentliche Aufgabe dieser Einrichtungen ist es, einer sozialen Isolierung und einem Verlust an Kompetenzen zur Alltags- und Lebensbewältigung entgegenzuwirken. Außerdem sollen stationäre Klinikaufenthalte vermieden oder verkürzt und die (Wieder-)Eingliederung in das soziale und gesellschaftliche Umfeld gefördert werden. Im Vordergrund steht dabei stets eine Befähigung der Hilfe zur Selbsthilfe. 

Im Landkreis Mittelsachsen wurden die Aufgaben der PSKB und SBB an freie gemeinnützige Leistungserbringer übertragen. Im Planungsbiet sind derzeit an den Standorten Döbeln, Freiberg, Mittweida und Waldheim (mit Außenstelle in Leisnig) je eine Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle etabliert. Außerdem gibt es je eine Suchtberatungs- und behandlungsstelle in Döbeln, Freiberg und Mittweida, denen jeweils Außensprechstunden etwa in Roßwein, Frankenberg oder Brand-Erbisdorf und mehreren weiteren Städten angegliedert sind.

Qualitätsdialoge 

Ein wichtiger Schritt zur Sicherstellung einer wirksamen Versorgung psychisch erkrankter Menschen besteht in der regelmäßigen Evaluation der bestehenden Angebote. Bei den Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen und den Suchtberatungs- und Behandlungsstellen werden im Sinne einer wirkungsorientierten Steuerung kontinuierlich Instrumente eingesetzt, die die Ausgestaltung der Angebote bewerten und dazu beitragen, diese beständig weiterzuentwickeln. Unter anderem kommt auch eine standardisierte Kunden- und Mitarbeiterbefragung zum Einsatz. Die Ergebnisse aller Untersuchungsmaßnahmen werden jährlich mit allen Beratungsstellen durch Qualitätsdialoge unter Federführung des Gesundheitsamtes ausgewertet.  

Die neuesten Ergebnisse verdeutlichen, dass der Bedarf an Beratung und Unterstützung in Mittelsachsen weiterhin hoch ist. Im Jahr 2022 suchten knapp 950 Klient:innen die Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle (PSKB) auf. Dabei sind mehr als die Hälfte der Klient:innen sehr zufrieden mit den bereitgestellten Leistungen und fast 40% sind zufrieden. Besonders erfreulich ist die hohe Zufriedenheit in den Suchtberatungsstellen, wo mehr als 68% der Klient:innen sehr zufrieden und über 23% zufrieden sind. Die Einrichtungen erfüllen die Zielvorgabe, mindestens 60% der Klient:innen im Zustand „gebessert“ zu entlassen, oft sogar noch besser.

Matthias Gröll, Psychiatriekoordinator des Landkreises Mittelsachsen, legt besonderen Wert darauf, Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen abzubauen. Neben der Beratung werden im Landkreis vielfältige Maßnahmen ergriffen, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu gehören öffentliche „Trialoge“, bei denen Betroffene, Angehörige und Fachkräfte miteinander ins Gespräch kommen können. Der jährliche Lauf für seelische Gesundheit trägt ebenfalls dazu bei, die Lobbyarbeit für psychisch kranke und suchtkranke Menschen zu stärken.

Gemeindepsychiatrie in Mittelsachsen

Die kontinuierliche Verbesserung der Versorgung psychisch erkrankter Menschen in Mittelsachsen ist ein gemeinsames Anliegen von Gesundheitsamt, Beratungsstellen und engagierten Fachkräften.

Die Gemeindepsychiatrie in Mittelsachsen ist ein Beispiel für die erfolgreiche Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen. Sie zeigt, dass die Stigmatisierung und Ausgrenzung überwunden werden können, wenn die Gesellschaft und die Fachleute gemeinsam arbeiten, um Betroffene zu unterstützen. Weitere Informationen zur Arbeit in der Gemeindepsychiatrie und Suchthilfe im Landkreis Mittelsachsen finden Sie hier.

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