Lebenslagen im Landkreis Mittelsachsen

Lebenslagen im Landkreis Mittelsachsen – Eine Beschreibung anderer Art

Der Landkreis Mittelsachsen ist mit seinen 52 Gemeinden einer der größten Flächenlandkreise Sachsens. Auf einer Fläche von 2.116 km2 erstreckt er sich von der Grenze zum Nachbarland Tschechien im Süden bis zum Landkreis Leipziger Land im Norden und grenzt im Osten an die Landkreise Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie im Westen an den thüringischen Landkreis Altenburger Land.
Der 1. Sozialbericht (2016) und der 2. Sozialbericht (2020) des Landkreises Mittelsachsen zeichnen ein kleinräumiges Bild der unterschiedlichen Lebenslagen der mittelsächsischen Einwohner:innen. Grundlage dafür sind statistische Daten aus verschiedenen Quellen, wie z.B. dem Landratsamt Mittelsachsen, dem Jobcenter Mittelsachsen oder dem Statistischen Landesamt Sachsen.

Doch wie sieht das Leben in den einzelnen Gemeinden jenseits der statistischen Betrachtung aus? Lässt sich jenseits von Zahlen und Fakten beschreiben, wie die Menschen ihr Umfeld erleben und aufzeigen, was die Gemeinden in Mittelsachsen l(i)ebenswert macht? In der Gemeinde Erlau, die zur Sozialregion 5: West (Mittweida) gehört, wurde mit dem Projekt „Landinventur“ der Versuch unternommen, die Lebenssituation von Jung und Alt einmal ganz anders zu erfassen.
Ein Gastbeitrag von Frederike Bremer.

Die Landinventur in der Gemeinde Erlau:
Ein Blick auf das gemeinsame Leben

Im letzten Jahr 2023 führte der Verein Generationenbahnhof Erlau e.V. in der Gemeinde Erlau das spannende Projekt „Landinventur“ durch. Dabei ging es nicht um eine offizielle statistische Erfassung, sondern um die Bestandsaufnahme des Lebens der ländlichen Orte – und das aus der Perspektive derjenigen, die vor Ort wohnen. In den sparsamer besiedelten Regionen Mecklenburgs hat dieses Projekt seinen Ursprung gefunden und wurde vom Thünen Institut für Regionalentwicklung e.V. zu einem überall umsetzbaren Projekt entwickelt. Es ist ein bemerkenswerter Versuch, das alltägliche Leben, die Eigenheiten und die regionalen Besonderheiten unserer Dörfer zu dokumentieren und sichtbar zu machen.
Bildrechte: Generationenbahnhof Erlau e.V.

Bürger als Experten lokaler Gegebenheiten

Die Landinventur mode­riert nicht nur Daten und Zahlen, sondern eröffnet auch einen Dialog unter den Gemeindemitgliedern im Gemeinwesen. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers 2023 führte das Projektteam des Vereins viele Gespräche mit den Menschen vor Ort: bei Dorfspaziergängen, gemeinsamen Veranstaltungen oder einfach bei einem Plausch auf der Straße. Hierbei wurden viele wertvolle Informationen über die Lebensweisen, örtliche Gegebenheiten, das kulturelle und soziale Engagement und die wirtschaftlichen Tätigkeiten in den Ortsteilen gesammelt. Fragebögen, Kartierungen und Bürgerbeteiligungsprotokolle mit Feldnotizen halfen dabei, die Fülle an Wissen und Informationen zu dokumentieren. Anschließende offene Diskussions- und Auswertungsrunden ermöglichten die Interpretation und Reflektion des Prozesses sowie der Daten. Überraschend war, dass die Schätzungen wie beispielweise der Bevölkerungsstruktur erstaunlich nah an öffentlich zugänglichen Statistiken von Gemeinde und Behörden lagen – die Dorfbewohner:innen kennen sich offensichtlich sehr gut und es zeigt somit auch, dass Bürgerwissenschaftsbeteiligungsprojekte sich in vielerlei Hinsicht lohnen.

Die Vielfalt der Gemeinde

Eine zentrale Erkenntnis dieser Landinventur ist, dass sich die Ortsteile, trotz dörflichen Charakters und der Verortung in einem Gemeindegebiet, erheblich voneinander unterscheiden. Diese Unterschiede zeigen sich in der Bebauung, der Einwohner:innenstruktur, den Aktivitäten sowie in der Nutzung der Grundstücke. Demnach muss man hier von vielfältigen ländlichen Räumen sprechen und Bedarfe dieser Räume individuell betrachten und bearbeiten. Um den besonderen Charakter und die Vielfalt der Gemeinden zu bewahren, ist es notwendig, dass sich Bürger:innen aktiv an der Gestaltung ihres Lebensraums beteiligen. Die Landinventur kann diese Beteiligung aktivieren und intensivieren. Die Landinventur in der Gemeinde Erlau war ein aufregendes Projekt mit vielen Facetten und stärkte das Bewusstsein für die vorhandenen Ressourcen des direkten Umfeldes.

Anfang des Jahres 2025 wird spezifisch für das Gemeindegebiet Erlau eine Broschüre diesbezüglich erscheinen. Bisherige Erkenntnisse können in den Amtsblättern Januar bis Juli der Gemeinde Erlau nachgelesen sowie auf der Internetseite „www.generationenbahnhof.de“ eingesehen werden.

Partizipatives Forschungsprojekt

Durch die Untersuchung des Projektes im Rahmen einer Masterarbeit von Frederike Bremer mit dem Titel: „Bürger als Experten lokaler Gegebenheiten. Das Projekt „Landinventur“ als Gelegenheit ländlicher Gemeinwesenarbeit am Beispiel der Gemeinde Erlau“, erwies sich die Landinventur als eine wertvolle Gelegenheit zur ländlichen Entwicklung. Das Projekt ermöglicht durch eine aktive Bürgerbeteiligung eine lebendige thematische Zusammenarbeit der Dorfbewohner:innen, in der neue soziale Interaktionen entstehen und gemeinsame Erlebnisse geschaffen werden, was positive Effekte auf die Stabilität und Entwicklung gemeinwohlorientierter Strukturen hat.
Die gesammelten Daten in Erlau boten nicht nur einen Überblick über materielle und infrastrukturelle Bedingungen, sondern auch Einblicke in soziale und technische Aspekte des Lebens in den Dörfern, wodurch Anpassungsstrategien und Veränderungen über die Jahre dokumentiert wurden. Der Prozess und die Ergebnisse sind für die Bürger:innen der Erhebungsregion interessant und ebenso für Entscheidungsträger:innen von Bedeutung, um die ländlichen Räume besser zu verstehen und die Förderung ländlicher Entwicklung gezielt zu gestalten.

Interesse?

Die Inventur kann als Einzelperson oder als Gruppe sowie auch als gesamte Gemeinde durchgeführt werden. Auf der Internetseite https://landlebtdoch.de/inventur ist das Verfahren Schritt für Schritt beschrieben. Auch sind auf dieser Internetseite Möglichkeiten der Dateneintragung zu finden. Das Thünen Institut für Regionalentwicklung wie auch der Generationenbahnhof Erlau e.V. – als Praktiker des Prozesses – stehen bei Interesse als Ansprechpartner:in zur Verfügung.
Frederike Bremer ist aktuell als Koordinatorin für Vernetzung und bürgerschaftliches Engagement im ländlichen Raum in der Gemeinde Erlau und Region tätig. Die Projektstelle ist gefördert aus Geldern der Leader-Region „Land des roten Porphyr und Umgebung“.

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